Dispensationalismus

Der Dispensationalismus ist eine heilsgeschichtlich orientierte Form der Bibelauslegung, die mit einer bestimmten Lehre von der Endzeit verknüpft ist. In Anlehnung an die Lehre altkirchlicher Theologen (Irenäus von Lyon, Augustinus) wird davon ausgegangen, dass die Heilsgeschichte als Abfolge verschiedener „Haushaltungen“ (Dispensationen) oder Zeitalter verstanden werden müsse. Diesen werden jeweils spezifische Episoden göttlicher Offenbarung bzw. göttlicher Prüfungen der Menschheit zugeordnet. Dabei wird zwischen dem Gottesvolk Israel und der (christlichen) Kirche zumeist eine scharfe Trennlinie gezogen. Für das Ende der Zeiten wird eine Massenbekehrung der Juden zu Jesus als ihrem Messias erwartet.

Die biblischen Texte gelten Dispensationalisten üblicherweise als irrtumsfrei. Ihre Auslegung orientiert sich am Grundsatz der Verbalinspiration.[1] Der so verstandene biblische Text soll Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Menschheit erklären. Dazu werden für biblische Prophetien Entsprechungen auch in jüngeren geschichtlichen Entwicklungen gesucht. Beispielsweise wird vielfach die Gründung des Staates Israel 1948 als Erfüllung der Prophetie verstanden, wonach Gott sein Volk wieder versammeln werde.[2]

Der Dispensationalismus entstand um 1830 im Kontext der Brüderbewegung und stellt im 21. Jahrhundert „eine der populärsten Schulströmungen der Theologie und Bibelauslegung unter konservativen evangelikalen und fundamentalistischen Protestanten“ dar.[3]

O. Palmer Robertson, Dozent an reformatorisch geprägten theologischen Seminaren in den USA, meint, Bundestheologen und Dispensationalisten stünden in der Bezeugung der Hauptlehren der Heiligen Schrift Seite an Seite. Beide Gruppen wehrten nach seinem Urteil Angriffe von Modernismus, Neo-Evangelikalismus und gefühlsbetontem Christentum ab.[4]

  1. Vgl. etwa William V. Trollinger, Jr.: Protestantism and Fundamentalism. In: Alister E. McGrath, Darren C. Marks (Hrsg.): The Blackwell Companion to Protestantism. Blackwell, Malden MA u. a. 2004, ISBN 0-631-23278-8, S. 344–356, hier S. 346: “if read literally – hence the importance of inerrancy – the Bible (particularly the books of Daniel and Revelation) provides a sure guide to the past, present, and future of human history.” Repräsentativ für einen Großteil des Dispensationalismus ist die einflussreiche Auffassung von Charles C. Ryrie, wonach der Dispensationalismus auf drei Prinzipien basiere: (1) einer Unterscheidung zwischen Israel und der Kirche, (2) einer literalistischen (Bibel-)Hermeneutik, (3) der Auffassung, dass die Herrlichkeit Gottes der der Welt zugrundeliegende Zweck Gottes sei, vgl. Charles C. Ryrie: Dispensationalism. Revised and expanded. Moody Press, Chicago IL 1995, ISBN 0-8024-2187-3, S. 38–40. Einige jüngere Adaptationen allerdings modifizieren oder dispensieren eines oder mehrere dieser Prinzipien.
  2. W. T. Stancil: Dispensational Theology. In: New Catholic Encyclopedia. Band 4, 2. Auflage 2003, S. 776. Zum Thema Israel im Dispensationalismus und verwandten Strömungen ausführlich Paul Boyer: The Middle East in Modern American Popular Prophetic Belief. In: Abbas Amanat, Magnus Bernhardsson (Hrsg.): Imagining the End. Visions of Apocalypse from the Ancient Middle East to Modern America. I. B. Tauris, London u. a. 2002, ISBN 1-86064-724-3, S. 312–335. Bekannte Beispiele sind die Neuauflagen der Scofield Reference Bible seit 1967 (vgl. Shalom Goldman: Zeal for Zion. Christians, Jews, and the Idea of the Promised Land. University of North Carolina Press, Chapel Hill NC 2009, ISBN 978-0-8078-3344-5, S. 35) oder Harold L. Lindsey, dessen Buch The Late Great Planet Earth von 1970 das mit 7,5 Millionen Exemplaren meistverkaufte nichtfiktionale Buch der 1970er Jahre war (vgl. Thomas D. Ice: Harold L. Lindsey. In: Mal Couch (Hrsg.): Dictionary of premillennial theology. Kregel, Grand Rapids MI 1996, ISBN 0-8254-2351-1, S. 241 f., hier 241; Crawford Gribben: Writing the Rapture. Prophecy Fiction in Evangelical America. Oxford University Press, New York NY u. a. 2009, ISBN 978-0-19-532660-4, S. 8).
  3. J. Gordon Melton: Dispensationalism. In: J. Gordon Melton (Hrsg.): Encyclopedia of Protestantism. Facts On File, New York NY 2005, ISBN 0-8160-5456-8, S. 188–190, hier S. 188.
  4. Palmer Robertson: The Christ of the Covenants. Presbyterian and Reformed Publishing Co, Phillipsberg NJ 1981, ISBN 0-87552-418-4, S. 201–202. In: Iain H. Murray: John MacArthur. Dienst am Wort und an der Herde. Betanien, Oerlinghausen 2012, ISBN 978-3-935558-48-8, S. 210–211.

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