Quantenradierer

Ein Quantenradierer ist ein zentrales Element in quantenphysikalischen Experimenten, mit denen auf besondere Weise verdeutlicht wird, dass physikalische Objekte je nach Gestaltung des Messprozesses entweder als ausgedehnte Wellen oder als lokalisierte Teilchen erscheinen. Diese zwei widersprüchlich erscheinenden Aspekte des Welle-Teilchen-Dualismus können dabei aber nie gleichzeitig beobachtet werden (Komplementaritätsprinzip).

Intensitätsverteilung hinter einem Doppelspalt vor Anbringen einer „Welcher-Weg“-Markierung (rot) bzw. danach (blau). Bei Teilchenstrahlung würde sich nur ein breites zentrales Maximum zeigen.

Im Quantenradierer-Experiment wird ein Strahl aus Quantenobjekten (z. B. Photonen, Elektronen, …) auf einen Doppelspalt gerichtet, so dass auf dem Schirm dahinter ein Interferenzmuster entsteht, wie es die Abbildung zeigt. Das Interferenzmuster belegt, dass die Objekte sich nach Art einer Welle bewegen, die aufgrund ihrer räumlichen Ausdehnung durch beide Spalte gleichzeitig hindurch gegangen ist. Sobald aber an einem Spalt dem Zustand der Quantenobjekte beim Passieren eine „Markierung“ aufgeprägt wird, mithilfe derer man erkennen könnte, dass das jeweilige Objekt durch diesen Spalt zum Schirm gelangt ist, entsteht das Interferenzmuster nicht. Stattdessen zeigt sich ein Bild, wie es für klassische Teilchen, die jeweils nur durch einen der Spalte gehen können, zu erwarten ist.

Das klassisch erwartete Bild ohne Interferenzstreifen erscheint nun nicht nur, wenn man die Markierung abliest und dazu nutzt, entweder nur die markierten oder nur die nicht markierten Objekte zu zählen. Denn schon die Erzeugung einer solchen „Welcher-Weg“-Markierung, auch wenn sie gar nicht abgelesen wird, zerstört das Interferenzmuster. Dies ist für Licht, also auch für die einzelnen Photonen, schon lange bekannt. Neuartig am Quantenradierer ist die Beobachtung, dass man das Interferenzmuster wieder herstellen kann, indem man die schon angebrachte Markierung wieder auslöscht („wegradiert“). Dabei kann sogar mit einem späten Ein- oder Ausschalten des Quantenradierers scheinbar nachträglich entschieden werden, ob das Quantenobjekt vorher als Welle durch beide Spalte oder als Teilchen nur durch einen Spalt gegangen ist („Delayed-Choice-Experiment“).

Das Experiment hat innerhalb und außerhalb der Physik Aufmerksamkeit erregt,[1] deckt aber keine neuartigen Eigenschaften der Quantenobjekte auf. Insbesondere überschreitet es nicht den Rahmen der verbreiteten Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik, sondern ist bei sorgfältiger Formulierung vollständig mit den bekannten Regeln der Quantenmechanik zu erklären. Der Quantenradierer widerlegt die vereinfachte Vorstellung vom Welle-Teilchen-Dualismus, nach der das Quantenobjekt schon beim Passieren des Doppelspalts darauf festgelegt würde, entweder als Welle gleichzeitig durch beide Spalte oder als Teilchen immer nur durch einen der Spalte zu gehen. In dem Bestreben, diese Sichtweise dennoch beizubehalten, gehen manche Vorschläge zur Interpretation so weit, auch eine Rückwärtsverursachung (englisch backward causation oder retrocausality), also eine Umkehrung der zeitlichen Abfolge von Ursache und Wirkung, in Erwägung zu ziehen[2][3][4] oder sogar als erwiesen zu erachten.[5]

Der Quantenradierer wurde 1982 als Gedankenexperiment vorgeschlagen,[6] realisiert worden ist er erstmals 1991 für Photonen.[7] 2005 konnte er auch im Physikunterricht an der Schule gezeigt werden.[8][9] Für Elektronen wurde der Quantenradierer 2014 realisiert.[10] Für Atomstrahlen wurde das Verschwinden der Interferenzstreifen durch das Anbringen einer Markierung erstmals 1998 experimentell demonstriert,[11] die Realisierung eines Quantenradierers steht hier noch aus.

  1. Anil Ananthaswamy: Through two doors at once - the elegant experiment that captures the enigma of our quantum reality. Dutton, New York 2018, ISBN 978-1-101-98609-7. Eine gut lesbare Geschichte des Doppelspaltversuchs von Young bis zum Quantenradierer (englisch)
  2. Alexander Wendt: Quantum Mind and Social Science: Unifying Physical and Social Ontolog. Cambridge University Press, Cambridge 2015, ISBN 1-316-29991-0, S. 202 ff.
  3. G GalliCarminati, Flavie Martin: Quantum mechanics and the psyche. In: Physics of Particles and Nuclei. Band 39, Nr. 4, 2008, S. 560- 577, doi:10.1134/S1063779608040047.
  4. Eintrag „Backward Causation“ in der Stanford Encyclopedia of Philosophy. Siehe auch die ausführliche Darstellung und Diskussion solcher Vorschläge in der englischen Wikipedia (abgerufen 2019-02-26)
  5. Stuart Hameroff: How quantum brain biology can rescue conscious free will. In: Frontiers in integrative neuroscience. Band 6, 2012, S. 93 (online [abgerufen am 12. Februar 2019]).
  6. Marlan O. Scully, Kai Drühl: Quantum eraser: A proposed photon correlation experiment concerning observation and "delayed choice" in quantum mechanics. In: Physical Review A. Band 25, Nr. 4, 1982, S. 2208–2213.
  7. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen ScullyEnglertWalther1991.
  8. Gymnasialer Lehrplan Baden-Württemberg (PDF; 43 kB)
  9. Physik - Gymnasiale Oberstufe. Duden Paetec, 2005, ISBN 3-89818-311-4.
  10. E Weisz, HK Choi, I Sivan, M Heiblum, Y Gefen, D Mahalu, V Umansky: An electronic quantum eraser. In: Science. Band 344, Nr. 6190, 2014, S. 2014-1366, doi:10.1126/science.1248459.
  11. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen Dürr1998.

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