Daimonion

Büste des Sokrates aus dem 1. Jahrhundert im Louvre, Paris

Als Daimonion (altgriechisch δαιμόνιον daimónion, lateinisch genius) wird in der antiken Literatur eine innere Stimme bezeichnet, die der Überlieferung zufolge dem Philosophen Sokrates warnende Zeichen gab, um ihn von Fehlentscheidungen abzuhalten. Sokrates hielt den Urheber dieser Zeichen für eine Gottheit, die er nicht näher bestimmte. Er folgte den stets ohne Begründung gegebenen Winken der Stimme, die sich nach seinen Angaben immer als sinnvoll und hilfreich erwiesen. Wenn das Daimonion schwieg, deutete er dies als Billigung seines Verhaltens. Da er über seine Erfahrungen mit dem inneren Ratgeber redete, war seine Beziehung zu der mysteriösen Instanz in seiner Heimatstadt Athen allgemein bekannt. Gegner warfen ihm vor, eine religiöse Neuerung einzuführen. Diese Beschuldigung trug dazu bei, dass er im Jahr 399 v. Chr. zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.

Glaubhafte zeitgenössische Angaben zum Daimonion liegen nur spärlich vor. Die Hauptquellen sind Schilderungen von Sokrates’ Schülern Platon und Xenophon. Das Phänomen galt schon in der Antike als rätselhaft, führte zur Legendenbildung und gab zu unterschiedlichen Erklärungen Anlass. Platoniker betrachteten den Zeichengeber als hochrangigen Daimon, als ein göttliches Geistwesen, das als persönlicher Schutzgeist des Philosophen fungierte. Christliche Autoren sahen in dem Ratgeber teils einen Schutzengel, teils einen bösartigen Dämon.

In der modernen Forschung gehen die Meinungen über die Interpretation der Quellen auseinander. Ein zentrales Diskussionsthema ist die Frage, wie Sokrates seinen Anspruch, sich nur an der Vernunft zu orientieren, mit der Befolgung unbegründeter Ratschläge von unklarer Herkunft vereinbaren konnte.


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