Fischer-Kontroverse

Als Fischer-Kontroverse bezeichnet man einen von 1959 bis etwa 1985 – im engeren Sinne von 1962 bis 1970/71 – anhaltenden Streit in der westdeutschen und ausländischen Geschichtswissenschaft zur politischen Strategie des Deutschen Kaiserreichs vor und im Ersten Weltkrieg, der deutschen Verantwortung für den Kriegsausbruch 1914 und dem Problem der langfristigen Kontinuität deutscher Hegemonialpolitik. Sie entstand durch Forschungen des Hamburger Historikers Fritz Fischer, vor allem durch sein 1961 erschienenes Buch Griff nach der Weltmacht. Die Kontroverse hatte eine enorme erinnerungs- und geschichtspolitische Bedeutung und wurde in ihrer Hochphase auch von der wissenschaftsexternen Publizistik intensiv begleitet. Auf der Seite der Gegner Fischers intervenierten neben dem Historiker Gerhard Ritter wiederholt auch einflussreiche Politiker, darunter Bundeskanzler Ludwig Erhard, Franz Josef Strauß und Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier.

Der umstrittene Gegenstand wurde als Kriegsschuldfrage schon in der Zeit der Weimarer Republik unter apologetischen und propagandistischen Vorzeichen debattiert, trat aber nach 1945 zunächst zurück. Fischers Buch führte zu einer erneuten Debatte. Die Kontroverse veränderte nachhaltig die historische Beurteilung der Kriegsursachen von 1914 und die Forschungsschwerpunkte und -methoden zum Ersten Weltkrieg. Sie gilt daher neben dem 1986 entbrannten bundesdeutschen „Historikerstreit“ als wichtigste geschichtswissenschaftliche Debatte in der Bundesrepublik Deutschland.

Volker Ullrich schrieb dazu 1999 in der Zeit: „Es [das Buch] beseitigte die nationalkonservative Deutungshoheit, führte die deutsche Geschichtswissenschaft an die internationale Forschung heran und gab ihr neue Fragen auf, unter anderem die nach der Kontinuität der Eliten zwischen Kaiserreich und ‚Drittem Reich‘.“[1] John C. G. Röhl schrieb 2011 in Die Welt, Fischers „vor 50 Jahren umstrittenes Werk“ habe sich als „erstaunlich langlebig und fruchtbar erwiesen“.[2] Bis heute sind die Thesen von Fischer umstritten, so bezeichnete Sean McMeekin sie als zu germanozentrisch und bedauerte, durch die Fischer-Thesen seien ausgewogenere Darstellungen wie die von Luigi Albertini verdrängt worden[3]. Günther Kronenbitter bezeichnete die Fischer-Kontroverse als eine rein deutsche "Nabelschau", die den Anteil der anderen Beteiligten völlig ausblenden würde.[4]

  1. Volker Ullrich: Griff nach der Wahrheit. Zum Tod des Hamburger Historikers Fritz Fischer. In: Zeit Online vom 9. Dezember 1999.
  2. John C. G. Röhl: Deutschlands „erhebliche Verantwortung“ für 1914, Die Welt, 21. Oktober 2011. Abgerufen am 6. Juli 2014.
  3. Sean McMeekin, Juli 1914 Der Countdown in den Krieg, S. 534
  4. NTV: Wie es zum Ersten Weltkrieg kam "Viel Verantwortung liegt in Wien"; vom 05.03.2014

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