Hermetik

Fußbodenbild am Eingang des Doms von Siena (spätes 15. Jahrhundert, Giovanni di Stefano zugeschrieben): Hermes Trismegistos (Mitte), ein Buch überreichend, mit den Personifikationen von Orient (links) und Okzident (ganz links). Am unteren Bildrand wird Hermes als Zeitgenosse von Moses bezeichnet.

Hermetik (auch Hermetismus und Hermetizismus) ist die neuzeitliche Bezeichnung für eine antike esoterisch-okkulte Offenbarungslehre. Der Name bezieht sich auf die mythische Gestalt des Hermes Trismegistos (altgriechisch Ἑρμῆς Τρισμέγιστος Hermḗs Trismégistos, dt. „dreifach größter Hermes“), der als der Wissensspender galt. Dabei handelt es sich um eine im ägyptischen Hellenismus entstandene synkretistische Verschmelzung des griechischen Gottes und Götterboten Hermes mit Thot, der in der ägyptischen Mythologie und Religion der Gott der Weisheit und der Wissenschaft ist. Allerdings erscheint Hermes in manchen Texten nicht als Urheber der Offenbarung, sondern als deren Empfänger und Verkünder.

In der Römischen Kaiserzeit (27 v. Chr. bis 284 n. Chr.) gewann die Lehre beträchtlichen Einfluss. Auf Offenbarungen des Hermes Trismegistos wurde der Inhalt vieler verschiedenartiger Schriften zurückgeführt. Sie werden in der Forschung unter der Bezeichnung „Hermetica“ zusammengefasst. Diese heterogene Literatur zerfällt in zwei Gruppen: Neben theoretisch ausgerichteten Werken, die religiöses und philosophisches Lehrgut vermitteln, stehen praxisorientierte Schriften mit dem Anspruch, dem Leser nutzbare Kenntnisse über die Natur zu verschaffen.

  • Die „religiös-philosophische“ Hermetik gibt Erklärungen für die Entstehung und Beschaffenheit der Welt und erteilt Anweisungen für die Erlangung von Weisheit und die Läuterung und Erlösung der Seele.
  • Die „technische“ Hermetik bezweckt Lebensmeisterung und Naturbeherrschung durch okkultes Wissen und Zauberei. Ihr Schrifttum beschreibt eine Vielzahl von magischen, astrologischen und alchemistischen Vorstellungen.

In der Frührenaissance wurde das zuvor verschollene Corpus Hermeticum, eine Sammlung antiker hermetischer Offenbarungsschriften, entdeckt. Marsilio Ficino übersetzte es aus dem Griechischen ins Lateinische. Die Wirkung war stark und nachhaltig, denn viele Renaissance-Humanisten hielten Hermes Trismegistos für einen Verkünder altehrwürdiger Weisheitslehren aus der Zeit der jüdischen Propheten. Man glaubte, dass seine Lehren mit dem christlichen Glauben vereinbar seien und diesem sogar eine Stütze bieten könnten. Der humanistischen Hermesverehrung wurde jedoch die Grundlage entzogen, als Isaac Casaubon 1614 die kaiserzeitliche Entstehung im ersten bis zweiten Jahrhundert n. Chr. des angeblich uralten Corpus nachwies. Dennoch faszinierten die hermetischen Offenbarungen weiterhin in okkultistischen und esoterischen Kreisen.

Die moderne Forschung fragt nach der Herkunft des Gedankenguts und befasst sich mit der Einbettung der Hermetik in den Gesamtzusammenhang der kaiserzeitlichen Kulturgeschichte. Hervorgehoben werden die altägyptischen Wurzeln und die Bezüge zum Platonismus. Ein oft erörtertes Thema ist das Verhältnis zwischen der Weltdeutung der religiös-philosophischen Offenbarungen und den okkulten Techniken des populären Hermetismus. Dabei geht es um den Zusammenhang zwischen den beiden Hauptelementen der Hermetik:

  • der Weisheitssuche einer gebildeten Elite
  • und dem Interesse breiterer Schichten an handfesten magischen Machtmitteln.

Es hat sich gezeigt, dass eine saubere Trennung zwischen philosophischer und technischer Hermetik nicht möglich und unhistorisch ist; vielmehr gibt es gewichtige Überschneidungen.


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