Marino Falier

Soldino, geprägt unter „Main Faledro Dvx“
Wappen des „Marin Falier“, 17. Jahrhundert

Marino Falier (* zwischen 1280 und 1285 in Venedig; † 17. April 1355 ebenda; auch Marin(o) Faliero) war nach der Zählweise der staatlich gesteuerten Geschichtsschreibung der Republik Venedig ihr 55. Doge. Seine Wahl erfolgte am 11. September 1354. Er wurde wegen einer Verschwörung nur gut sieben Monate später hingerichtet.

Bedingt durch diese Verschwörung ist seiner rund vier Jahrzehnte umfassenden Tätigkeit in staatlichen Diensten nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Dabei war Marino Falier bereits seit etwa 1315 im innersten Kreis der Macht tätig, wurde vielfach zum Podestà gewählt, womit er ganze Kommunen als eine Art bestellter Gouverneur lenkte. Er war mehrfach Gesandter, etwa beim Papst in Avignon, beim Kaiser in Wien und Prag, führte Truppen und Kriegsflotten in weiten Teilen des venezianischen Kolonialreichs, aber auch in Oberitalien, Dalmatien und bis zur Krim im Osten.

Besondere Aufmerksamkeit widmete die Geschichtsschreibung nach seinem Sturz der Frage nach den Ursachen der Verschwörung. Dabei wurde einerseits angeführt, dass er persönlich beleidigt worden war – damit rückte seine Frau Aluycha in den Mittelpunkt –, andererseits spielte der Gegensatz zwischen den nobili, später als Adel oder Patriziat bezeichnet, und den Seeleuten, die die Schuld an einer verheerenden Niederlage der Kriegsflotte eben jenen nobili gaben, eine große Rolle. Sie waren es, die den Umsturz ausführen wollten. Folgt man der staatlich gesteuerten venezianischen Historiographie, so strebte Marino Falier danach, unumschränkter Herr der Stadt zu werden, oder, wie es schon im 14. Jahrhundert ausgedrückt wurde, eine Tyrannei zu errichten.

Die starke Betonung persönlicher Motive Faliers gestattete es, trotz des Umsturzversuches, das Bild Venedigs als einzig stabilem Staatswesen aufrechtzuerhalten, in dem kluge und wohlwollende Patrizier regierten. Eine pflichtbewusste zweite Elite von Cittadini steuerte demnach die Verwaltung, und die mehr als 80 % der Bevölkerung stellenden, mit der Machtverteilung einverstandenen Popolani waren befriedet. Letzteres sei durch Gerechtigkeit, sichere Versorgung in Verbindung mit patrizischer Großzügigkeit und rituelle Einbindung gewährleistet worden, die erfolgreich die Illusion der Partizipation vermittelte. Diesen bereits im Spätmittelalter gepflegten Mythos, dessen Widerlegung die moderne Geschichtsschreibung lange beschäftigte, hätte eine Analyse gesellschaftlicher Konflikte, die hinter Faliers Umsturzversuch standen, gestört. Damit wurde den Popolani eine eigene Geschichtsmächtigkeit weitgehend vorenthalten, die sich jedoch in Momenten wie 1355 erwies. Eine eigene Bewegung dieser größten Gesellschaftsgruppe, wie in anderen Städten, bestand in Venedig tatsächlich nicht; sie repräsentierte sich formal nur in Gilden und Zünften, religiösen Gruppen und territorialen Einheiten, die vom Patriziat entsprechend scharf überwacht und gesteuert wurden. Nirgendwo sonst spielte die Geschichtsschreibung eine so zentrale Rolle wie in Venedig, um Unruhen unter den Popolani ihre politische Bedeutung abzusprechen und ihre Ziele zu verunklären.


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