Mutter Erde

Gartenkünsterlische Interpretation der irokesischen Mutter Erde im Jacques Cartier Park in Gatineau, Quebec. Nach der Schöpfungsgeschichte der Haudenossaunee-Stämme entstand sie aus Resten der „Himmelsfrau“, die der Gute Geist in der Erde vergrub, damit die Lebewesen nie Hunger leiden müssen.

Mutter Erde bezeichnet im religiösen Sinn verschiedene Vorstellungen von der Erde (im Sinne von Umwelt, Land, Natur oder Planet) als einer heiligen Ganzheit mit diversen übersinnlich-transzendenten Attributen. In vielen Sprachen der Welt wird die Erde weiblich und der Himmel männlich aufgefasst.[1] Daraus folgt allerdings nicht, dass es sich bei der Vorstellung der „Mutter Erde“ um eine religiöse Universalie handelt.

Der Begriff hat mehrfach einen Bedeutungswandel erfahren und wird auch heute noch in verschiedenen Lesarten verwendet, die sich nur aus dem jeweiligen Kontext erschließen:

  1. Es gibt zahlreiche Bezeichnungen aus verschiedensten historischen Religionen, ethnischen Glaubensvorstellungen, der Volksreligiosität und der Naturphilosophie, die mit dem Begriff „Mutter Erde“ übersetzt werden können. Sie stehen alle für die Auffassung einer diffus personifizierten heiligen Erde (im Sinne von physischer Umwelt) als der animistisch beseelten Quelle allen Lebens, die von den Menschen mit ganz unterschiedlichen Ritualen und Bräuchen religiös-kultisch verehrt wurde.
  2. Die erzwungene Auseinandersetzung mit der Landnahme der Euroamerikaner in Nordamerika führte bei den Indianern im 19. Jahrhundert zur Bildung des Ausdruckes Mutter Erde (Mother Earth) als strategisch wichtiger Sammelbegriff, um die verschiedensten Formen der spirituellen Naturverehrung, die in irgendeiner Weise einen Bezug zur Erde (im Sinne von Land und Lebensraum) hatten, unter einem Begriff zu vereinen. Strategisch deshalb, weil der Begriff in den meisten Fällen nur als plakative Metapher in der Kommunikation mit den Eindringlingen verwendet wurde und selbst keine religiöse Bedeutung hatte.
  3. Für viele re-traditionelle nord- und südamerikanische Indianer der Gegenwart ist die im 19. Jahrhundert entstandene Mother-Earth-Philosophie (im Sinne einer gemeinsam indianischen, erdverbundenen Spiritualität) ein identitätsstiftender Begriff.
  4. Die Umweltbewegung im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts weitete den indianischen Sammelbegriff auch auf andere indigene Völker aus und machte die „irgendwie heilige“ Mutter Erde (im Sinne der gesamten Biosphäre) zu einem mystisch-romantisch verklärten Symbol für den nachhaltigen Umgang mit der Welt. Dies war ursprünglich profan, führte jedoch nachträglich zu neuen spirituellen Verknüpfungen.
  5. Die Vordenker einiger esoterisch geprägter Bewegungen des Westens (insbesondere des Neopaganismus) platzierten die Auffassung einer pantheistisch gedachten Erdgottheit (zumeist im Sinne eines mit Geist ausgestatteten Planeten) als neureligiöse Personifizierung in ihre konstruierten Weltanschauungen.

Weltanschauungen, bei denen die Verehrung der Erde im Mittelpunkt steht, werden bisweilen als chthonisch bezeichnet.[2] Dies gilt auch für moderne Theorien wie etwa die evolutionsbiologische Gaia-Hypothese.

  1. Dieterich, S. 17.
  2. Manfred Kurt Ehmer: Göttin Erde: Kult und Mythos der Mutter Erde. Zerling, Berlin 1994, S. 12.

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