Schamane

Sibirien: Chuonnasuan (1927–2000), der letzte Schamane des kleinen tungusischen Volks der Oroken (1994)

Der Ausdruck Schamane stammt ursprünglich von den tungusischen Völkern, šaman bedeutet in der mandschu-tungusischen Sprache „jemand, der weiß“ und bezeichnet einen besonderen Wissensträger.[1] Bei den sibirischen und mongolischen Ewenken hat das Wort šamán eine ähnliche Bedeutung. Im Deutschen verbreitete sich die durch Reisende aus Sibirien entlehnte Bezeichnung Schamane seit Ende des 17. Jahrhunderts und wird in zwei verschiedenen Lesarten verwendet, die sich aus dem jeweiligen Zusammenhang erschließen:

  1. Im engeren, ursprünglichen Sinne sind Schamanen ausschließlich die spirituellen Spezialisten der Ethnien des Kulturareales Sibirien (Nenzen, Jakuten, Altaier, Burjaten, Ewenken, auch europäische Samen u. a.), bei denen das Vorhandensein von Schamanen von europäischen Forschern der Expansionszeit als wesentlichstes gemeinsames Kennzeichen erachtet wurde.[2]
  2. Im weiteren, häufig verwendeten Sinne dient die Bezeichnung Schamane (siehe Schamanismus) als Sammelbegriff für ganz unterschiedliche spirituelle, religiöse, heilerische oder rituelle Spezialisten, die bei verschiedensten Ethnien weltweit als Vermittler zur Geisterwelt fungieren und denen entsprechende magische Fähigkeiten zugesprochen werden. In den meisten Weltgegenden setzen sie dies im Sinne kultischer und/oder medizinischer Handlungen zum Wohl der Gemeinschaft ein. Sie üben dazu verschiedene mentale Praktiken und Rituale (zum Teil unter Drogengebrauch) aus, mit denen die normale Sinneswahrnehmung erweitert werden soll, um aus diversen Gründen Kontakt zu den „Mächten des transzendenten Jenseits“ aufnehmen zu können.[3][4][5] In diesem Kontext wird auch der Medizinmann (im ursprünglichen und engeren Sinne der „Begleiter und Berater nordamerikanischer Indianer für den Umgang mit deren Medizin, der Kraft aus dem Kontakt mit geistigen und natürlichen Wesen“, im weiteren Sinne Heilkundiger aus traditionellen Kulturen[6]) oder die Medizinfrau amerikanischer oder australischer Stämme als Schamane bezeichnet. Darüber hinaus werden ebenso sogenannte Geisterbeschwörer aus Afrika oder Melanesien (verschiedene Zauberer, Heiler, Wahrsager usw.) – die im Gegensatz zu den „Allround-Spezialisten“ der anderen Kontinente jeweils nur einige wenige Aufgaben abdecken – bisweilen Schamanen genannt.

Die sehr verallgemeinernde und undifferenzierte Verwendung dieser Bezeichnung für die religiös-spirituellen Spezialisten nicht-sibirischer Ethnien (wie es im Kontext der sogenannten Schamanismus-Konzepte üblich ist) wird von einigen Wissenschaftlern und Indigenen kritisiert, weil damit eine Gleichheit ganz unterschiedlicher kultureller Phänomene suggeriert werde. Sie plädieren dafür, stattdessen die jeweiligen regionalen Benennungen zu verwenden.

Verschiedene Geisterbeschwörer egal welchen Geschlechts sind bzw. waren Akteure sehr vieler ethnischer Religionen, finden sich aber auch in manchen volksreligiösen Ausprägungen der Weltreligionen wie beispielsweise bei buddhistischen und islamischen Kulturen.[7] Insbesondere bei einigen traditionellen indigenen Gemeinschaften spielen sie auch heute noch eine Rolle – wenngleich häufig deutlich abgeschwächt und verändert.[8] Die Existenz von rituellen Experten geht vermutlich mindestens bis auf die magisch-spirituelle Religiosität der Mittelsteinzeit zurück. Die Deutung entsprechender Funde ist jedoch umstritten (siehe Prähistorischer Schamanismus).

In der Vergangenheit waren solche Menschen in den meisten Regionen Teilzeitspezialisten, die ansonsten anderen Subsistenzformen nachgingen.[3] Moderne „Neoschamanen“ (die in diesem Artikel nur am Rande behandelt werden) sind hingegen vielfach Vollzeitspezialisten, die ihre Tätigkeiten aktiv anbieten und davon ihren Lebensunterhalt bestreiten.

  1. Ronald Hutton: Shamans: Siberian Spirituality and the Western Imagination. Hambledon Continuum, 2011, S. ??.
  2. V. Gorbatcheva, M. Federova: Die Völker des Hohen Nordens. Kunst und Kultur Sibiriens. New York 2000, S. 181.
  3. a b Marvin Harris: Kulturanthropologie – Ein Lehrbuch. Campus, Frankfurt/ New York 1989, ISBN 3-593-33976-5, S. 285, 289–292.
  4. Alexandra Rosenbohm (Hrsg.): Schamanen zwischen Mythos und Moderne. Militzke, Leipzig 1999, ISBN 3-86189-159-X, S. 7.
  5. Dirk Schlottmann: Was ist ein Schamane? Koreanischer Schamanismus heute. (Memento vom 6. Juni 2015 im Internet Archive). In: Journal-ethnologie.de. Museum der Weltkulturen, Frankfurt/M. 2008, abgerufen am 7. Juni 2019.
  6. Norbert Kohnen: Medizinmann. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 956 f.; hier: S. 956.
  7. Klaus Sagaster: Schamanismus In: Horst Balz u. a. (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie. Band 30: „Samuel - Seele“. de Gruyter, Berlin/New York 1999, ISBN 3-11-019098-2, S. 72–76.
  8. Klaus E. Müller: Schamanismus. Heiler, Geister, Rituale. München 2010, S. 124.

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