Stereotyp (Sozialpsychologie)

In der Sozialpsychologie bezeichnet der Begriff Stereotyp im Gegensatz zur Alltagssprache, in der Vorurteile, Stigma, Stereotyp oder Schubladendenken oft synonym verwendet werden, Überzeugungen über soziale Gruppen und ihre Mitglieder. Hierzu werden alle Informationen gezählt, welche im Zusammenhang mit sozialen Kategorien in unserem Gedächtnis gespeichert worden sind. In diesem Sprachgebrauch beziehen sich Stereotype also auf generalisierte Eigenschaftszuschreibungen im Zusammenhang mit sozialen Kategorien, wobei nicht unterschieden wird, ob es sich um äußere oder innere, um positive, negative oder neutrale Eigenschaften handelt, oder ob diese Zuschreibungen richtig oder falsch sind.[1]

Abgrenzen lässt sich der Begriff Stereotyp in der Sozialpsychologie von dem Begriff Stigma dahingehend, dass ein Stigma immer negativ ist und erst aufgrund eines Stereotyps entsteht. Ein Stereotyp andererseits muss nicht immer negativ sein – es kann auch positiv sein.[2] Der Stigmabegriff ist maßgeblich auf den Soziologen Erving Goffman zurückzuführen, wobei das Wort Stigma aus dem Griechischen stammt und so viel bedeutet wie «Wund- oder Brandmal».[3]

Vorurteile und Stereotype gelten in der Sozialpsychologie als zwei differenzierbare Aspekte von Einstellungen gegenüber sozialen Gruppen. In der sozialpsychologischen Forschung werden sowohl Vorurteile wie auch Stereotype dadurch definiert, dass das gefällte Urteil ausschließlich auf der Zugehörigkeit zu sozialen Kategorien beruht, während die individuellen Eigenschaften der Person außen vor gelassen werden. Während der Begriff Stereotyp kognitive Reaktionen auf eine Gruppe und ihre Mitglieder betont, steht bei Vorurteilen die emotionale Reaktion auf die Gruppe im Vordergrund.[1] Dies steht im Einklang mit neueren Erkenntnissen der Neurowissenschaft, wonach Vorurteile und Stereotype auf voneinander relativ unabhängigen neurobiologischen Substraten beruhen.[4] Die für Vorurteile relevanten Gehirnstrukturen sind eher mit der Verarbeitung von Emotionen und Einstellungen assoziiert, wie zum Beispiel die Amygdala, die an unmittelbaren Reaktionen auf bedrohliche Stimuli oder Affektivität beteiligt ist.[5] Im Gegensatz dazu beruhen Stereotypen eher auf semantischen Netzwerken (Wissensrepräsentation und -anwendung), in denen beispielsweise der anteriore temporale Lappen (ATL) eine Rolle bei der Speicherung sozialen Wissens spielt.[5]

Stereotype können in deskriptive und präskriptive Stereotype unterteilt werden. Deskriptive Stereotype beschreiben, welche Eigenschaften und Verhaltensweisen einer Gruppe zugeschrieben werden, präskriptive Stereotype beschreiben Verhaltensweisen, die von einer Gruppe erwartet werden, wobei das Nichtausführen dieser vorgeschriebenen Verhaltensweise negative Konsequenzen mit sich zieht.[6][7] Wenn Frauen beispielsweise das präskriptive Stereotyp, sich submissiv zu verhalten, nicht einhalten, werden sie als weniger sympathisch eingestuft.[8] Während nicht alle stereotypisierten Gruppen von präskriptiven Stereotypen betroffen sind, konnten präskriptive Aspekte bei Geschlechtstereotypen,[9][10] Altersstereotypen[11][12] und ethnischen Stereotypen[13] nachgewiesen werden.

  1. a b Juliane Degner: Vorurteile haben immer nur die anderen. Springer, Berlin 2022, doi:10.1007/978-3-662-60572-1.
  2. Verywell Health. (10.12.2021). The difference between stigma vs. stereotype. https://www.verywellhealth.com/stigma-vs-stereotype-5210852
  3. Georg Schomerus und Matthias C. Angermeyer: Stigmatisierung psychisch Kranker. In: Psychiatrie und Psychotherapie. Band 5, Nr. 6, 2011, S. 345–347, doi:10.1055/s-0031-1276917.
  4. David M. Amodio: Social cognition 2.0: An interactive memory systems account. In: Trends in Cognitive Sciences. Band 23, Nr. 1, 2019, S. 21–33, doi:10.1016/j.tics.2018.10.002.
  5. a b David M. Amodio: The neuroscience of prejudice and stereotyping. In: journal = Nat Rev Neurosci. Band 15, 2014, S. 670–682, doi:10.1038/nrn3800.
  6. Diana Burgess und Eugene Borgida: Who women are, who women should be: Descriptive and prescriptive gender stereotyping in sex discrimination. In: Psychology, Public Policy, and Law. Band 5, Nr. 3, 1999, S. 665–692, doi:10.1037/1076-8971.5.3.665.
  7. Madeline E. Heilman: Description and prescription: How gender stereotypes prevent women's ascent up the organizational ladder. In: Journal of Social Issues. Band 57, Nr. 4, 2001, S. 657–674, doi:10.1111/0022-4537.00234.
  8. Laurie A. Rudman: Self-promotion as a risk factor for women: The costs and benefits of counterstereotypical impression management. In: Journal of Personality and Social Psychology. Band 74, Nr. 3, 1998, S. 629–645, doi:10.1037/0022-3514.74.3.629.
  9. Madeline E. Heilman: Gender stereotypes and workplace bias. In: Research in Organizational Behaviour. Band 32, 2012, S. 113–135, doi:10.1016/j.riob.2012.11.003.
  10. Laurie A. Rudman und Peter Glick: Prescriptive gender stereotypes and backlash toward agentic women. In: Journal of Social Issues. Band 57, Nr. 4, 2001, S. 743–762, doi:10.1111/0022-4537.00239.
  11. Michael S. North und Susan T. Fiske: Act Your (Old) Age: Prescriptive, Ageist Biases Over Succession, Consumption, and Identity. In: Personality and Social Psychology Bulletin. Band 39, Nr. 6, 2013, S. 720–734, doi:10.1177/0146167213480043.
  12. Elizabeth A. Hanrahan, Courtney L. Thomas und Lisa M. Finkelstein: You’re Too Old for That! Ageism and Prescriptive Stereotypes in the Workplace. In: Work, Aging and Retirement. Band 9, Nr. 2, 2023, S. 204–220, doi:10.1093/workar/waab037.
  13. Jennifer L. Berdahl und Ji-A Min: Prescriptive stereotypes and workplace consequences for East Asians in North America. In: Cultural Diversity and Ethnic Minority Psychology. Band 18, Nr. 2, 2012, S. 141–152, doi:10.1037/a0027692.

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