Waise

Orphan, James Tissot 1879

Als Waise (auf das deutsche und niederländische Sprachgebiet beschränkte Wort mhd. weise, ahd. weiso, zu wīsan, ‚meiden, verlassen‘, immer im Femininum) oder Waisenkind wird ein Kind bezeichnet, das einen oder beide Elternteile verloren hat. Hierbei wird zwischen Vollwaisen (bei denen beide Eltern gestorben sind) und Halbwaisen (bei denen ein Elternteil gestorben ist) unterschieden. Dieses Kind wird nur Waise genannt, wenn der Verlust der Eltern während der Kindheit oder im Jugendalter stattfand.

Verliert ein Mensch im Erwachsenenalter seine Eltern, spricht man nicht mehr von einem Waisen. Im umgekehrten Fall bezeichnet man Eltern, die ein Kind verloren haben, als verwaiste Eltern. Gründe, die zum Verwaisen von Kindern führen können, sind unter anderem Kriege, Katastrophen, Unfälle, Terrorismus oder Epidemien.

Wenn sich bei Vollwaisen keine Verwandten um die Erziehung der Kinder kümmern (können), gibt es in Deutschland verschiedene andere Betreuungsmöglichkeiten. In Absprache mit dem Jugendamt werden die Kinder entweder bei Pflegeeltern, in einem Kinderheim (früher: Waisenhaus oder Säuglingsheim) oder bei Jugendlichen im betreuten Jugendwohnen (manchmal Jugendheim genannt) untergebracht. Die Eltern können im Testament bestimmen, zu wem im Falle ihres frühen Todes ein Kind kommen soll. Dafür benennen sie einen Vormund, der die Aufgaben der elterlichen Sorge übernehmen soll. Das Vormundschaftsgericht ist an die Entscheidung der Eltern gebunden, solange sie dem Wohl des Kindes dient.

Eine weltweit verbindliche und einheitliche Regelung oder Definition zu dem Thema Waise gibt es nicht. In den einzelnen Nationalstaaten können rechtliche oder konfessionsgebundene Regelungen voneinander abweichen.

So definiert beispielsweise bei der Einwanderung in den Vereinigten Staaten das Einwanderungs- und Staatsangehörigkeitsgesetz eine Waise nach mehreren Kriterien. Demnach kann ein Kind durch Tod, Verschwinden, Nichtwahrnehmung der elterlichen Sorge, Trennung oder Verlust beider Elternteile zur Waise werden. Im Weiteren wird ein Kind als Waise angesehen, solange die Mutter unverheiratet ist und der leibliche Vater es nicht legitimiert hat. Das Kind eines überlebenden Elternteils kann ebenso eine Waise sein, wenn der überlebende Elternteil, seit dem Tod des anderen Elternteils, unverheiratet geblieben ist.[1]

In der Ukraine bezieht sich der Begriff Waise unter anderem „auf Kinder, deren Eltern gestorben sind oder deren Eltern die Elternsorge entzogen wurde oder deren Eltern eine Freiheitsstrafe in Justizanstalten verbüßen oder verschollen sind oder von zuständigen Gremien für physisch bzw. psychisch wahrnehmungsunfähig erklärt wurden“.[2]

Im islamischen Recht, der Scharia, werden Minderjährige, die ihren Vater verloren haben, als Waise, yatîm, angesehen. Der Verlust der Mutter begründet den Status einer Waise nicht. Hintergrund sind die patriarchalischen Familienvorstellungen im Islam. Einen Waisenstatus erhalten auch Findelkinder, allaqît, oder unehelich geborene Kinder.[3]

UNICEF und zahlreiche internationale Organisationen (zum Beispiel UNAIDS) haben Mitte der 1990er-Jahre die Definition von Waisenkindern überarbeitet, als die Aids-Pandemie weltweit zum Tod von Millionen Eltern führte und immer mehr Kinder ohne einen oder mehrere Elternteile aufwuchsen. Die Termini Single-Waise – Verlust eines Elternteils – und Doppel-Waise – Verlust beider Elternteile – wurden eingeführt. Seitdem definieren UNICEF und globale Partner ein Waisenkind als Kind unter 18 Jahren, das einen oder beide Elternteile durch Tod verloren hat. Nach dieser Definition gab es 2015 (lt. UNICEF) weltweit fast 140 Millionen Waisenkinder, darunter 61 Millionen in Asien, 52 Millionen in Afrika, 10 Millionen in Lateinamerika und der Karibik sowie 7,3 Millionen in Osteuropa und Zentralasien. Erfasst wurden sowohl Kinder, die beide Elternteile verloren haben, als auch Kinder mit einem noch lebenden Elternteil. Von den fast 140 Millionen als Waisenkinder klassifizierten Kindern haben rund 15,1 Millionen beide Elternteile verloren. 95 % aller Waisenkinder sind über fünf Jahre alt.[4] Diese Definition steht im Gegensatz zu Waisenkonzepten einiger Industrieländer, in denen ein Kind beide Elternteile verloren haben muss, um als Waisenkind anerkannt zu werden.

Eine verlässliche Gesamtzahl aller Waisenkinder weltweit gibt es nicht. UNICEF nennt als ungefähren Richtwert 163 Millionen Kinder, die als Waisen gelten.[5] Die NGO Humanium beziffert die Zahl der Waisenkinder weltweit auf 153 Millionen, davon 71 Millionen in Asien, 59 Millionen in Afrika sowie rund 9 Millionen in Lateinamerika und der Karibik. Rund 1.000 Kinder und Jugendliche werden jedes Jahr in Deutschland von der Deutschen Rentenversicherung erstmals als Vollwaisen erfasst. Laut Statistik der Deutschen Rentenversicherung haben im Jahr 2018 303.920 Menschen Halb- oder Vollwaisenrente bezogen. Das Durchschnittsalter der Bezieher lag bei 17,39 Jahren.[6] In der gesetzlichen Unfallversicherung war die Anzahl der Bezieher von Waisenrenten in Deutschland von knapp 35.000 im Jahr 1985 auf rund 9.000 im Jahr 2017 zurückgegangen.[7] In der Schweiz war die Zahl der Bezieher einer einfachen Waisenrente (Halbwaisenrente) in den Jahren von 1980 bis 2000 von 61.406 auf 41.856 rückläufig. In Russland ist die Zahl der vom Bildungsministerium erfassten Waisenkinder von 115.600 im Jahr 2008 auf 47.800 im Jahr 2018 gesunken. Das war zu diesem Zeitpunkt der niedrigste Wert seit dem Zerfall der Sowjetunion.[8][9][10] Einige der bekanntesten Träger von Kinderheimen im deutschsprachigen Raum sind die Organisation SOS-Kinderdorf, das Deutsche Rote Kreuz, die Diakonie, Pro Juventute und viele weitere freie Träger der öffentlichen Jugendhilfe.

Im Alltag erfährt der Begriff Waise zahlreiche sprachliche Adaptionen: Euro-Waisen, EU-Waisen, Waisenkinder der Medizin (siehe Orphan-Arzneimittel, seltene Krankheit oder Orphanet), Waisen-Planet, Therapeutische Waisen, Waisenkinder der Forschung, verwaistes Werk oder Scheidungswaise.

  1. Orphan, Official Website of the Department of Homeland Security (Memento des Originals vom 30. Juli 2019 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.uscis.gov
  2. Mykhaylo Plotsidem: Waisen und Sozialwaisen in staatlichen Fürsorgeeinrichtungen in der Ukraine: Rechtliche Lage und verschiedene Modelle. S. 4 (uibk.ac.at [PDF; 226 kB; abgerufen am 27. Februar 2020]).
  3. Bundeszentrale für politische Bildung, Waisenfürsorge im Islam (kafâlat al-yatîm) 05. Juni 2015
  4. Orphans, UNICEF
  5. Waisenkinder.Kinder außen vor: Die Situation von Waisenkindern weltweit, SOS-Kinderdörfer Weltweit 31. Januar 2014
  6. Statistik der Deutschen Rentenversicherung, Rente 2018, S. 163
  7. Bestand an Witwen- und Waisenrenten von 1985 bis 2017
  8. Waisenkinder. Die Situation der Waisenkinder weltweit, Humanium. Hilft den Kindern 8. August 2013
  9. Es wird immer ein Problem sein, Frankfurter Allgemeine 19. August 2016
  10. Gerrendina Gerber-Visser, Monika Imboden: Waisen. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 20. August 2018, abgerufen am 4. Juni 2019.

© MMXXIII Rich X Search. We shall prevail. All rights reserved. Rich X Search