Sprachbund

Der Begriff Sprachbund geht auf Nikolai Sergejewitsch Trubetzkoy zurück und bezeichnet eine Gruppe von Sprachen, die sich typologisch ähnlicher sind, als es aufgrund ihres genetischen Verwandtschaftsgrades zu erwarten wäre.[1] Dabei kann zwischen einem weiten und einem engen Sprachbundbegriff unterschieden werden.

Unter ersteren fallen alle Gruppierungen von Sprachen, denen mindestens ein Merkmal gemeinsam ist, das nicht durch Sprachverwandtschaft erklärt werden kann. Klassisches Beispiel ist Roman Jakobsons wegweisender Aufsatz Über die phonologischen Sprachbünde.[2]

Der engere Sprachbundbegriff stellt eine Reihe von Zusatzbedingungen. Gefordert wird eine gewisse Mindestferne, d. h., dass eng verwandte Sprachen (bspw. Russisch und Polnisch) generell allein keinen Sprachbund bilden können, eine möglichst große Zahl gemeinsamer Merkmale oder Isoglossen (mindestens zwei), eine Mindestrelevanz, also eine große Bedeutung der gemeinsamen Merkmale, sowie deren Vorhandensein in mindestens drei (nicht nur zwei!) Sprachen, da die Gemeinsamkeiten sonst als einfacher bilateraler Kontakt gelten.

Unterschieden werden weiterhin aktive und passive Merkmale. Aktiv bedeutet, dass in mindestens einer der Sprachbundsprachen ein Merkmal durch Kontakteinfluss innerhalb des Sprachbundes neu aufgebaut worden sein muss, z. B. der Artikel im Bulgarischen, während passiv ein durch Kontaktwirkung konserviertes Merkmal meint (das ohne diesen Kontakt abgebaut worden wäre), wie bspw. vermutlich der synthetische Sprachbau des Russischen.[3]

Die sich aus den gemeinsamen Merkmalen ergebende einmalige Kombination ist das Kennzeichen des jeweiligen Sprachbundes. Die Merkmale müssen aber nicht auf den Sprachbund beschränkt sein; wichtig ist nur, dass die Kombination aller Merkmale nur einmal vorkommt. Eine Sprache kann auch Mitglied mehrerer Sprachbünde sein.

Ein Sprachbund entsteht durch besonders intensiven Sprachkontakt, bei dem größere Gruppen von Sprechern verschiedener Sprachen über eine lange Zeit ein hohes Maß von Interaktion miteinander haben, wobei verbreitete Zwei- oder Mehrsprachigkeit als ein wichtiger Faktor angesehen wird.

Die durch die konvergente Entwicklung im Sprachbund entstandenen Ähnlichkeiten werden in Fällen, wo genetische Verwandtschaftsbeziehungen nicht klar ermittelt werden können, teilweise als Zeichen für genetische Verwandtschaft fehlinterpretiert. Ein gutes Beispiel dafür sind südostasiatische Sprachen wie Thai und Vietnamesisch, die Eigenschaften von benachbarten Sprachen angenommen haben: Ebenso wie das Chinesische haben sie einsilbige Wörter und die Tonhöhen sind bedeutungsunterscheidend (vgl. Tonsprache). Trotzdem geht man heute nicht (mehr) von einer Verwandtschaft zur sino-tibetischen Sprachfamilie aus.

In der neueren Forschung ist der Begriff des Sprachbundes umstritten.

  1. Sprachbunddefinition auf glottopedia
  2. Roman Jakobson: Über die phonologischen Sprachbünde. In: Travaux du cercle linguistique de Prague 4, 1931, S. 234–240.
  3. Daniel Weiss: Das Russische als antianalytische Sprache. In: Uwe Hinrichs (Hrsg.): Die europäischen Sprachen auf dem Wege zum analytischen Sprachtyp. Harrassowitz, Wiesbaden 2004, ISBN 3-447-04785-2.

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