Timaios

Der Anfang des Timaios in der ältesten erhaltenen mittelalterlichen Handschrift: Paris, Bibliothèque Nationale, Gr. 1807 (9. Jahrhundert)

Der Timaios (altgriechisch Τίμαιος Tímaios, latinisiert Timaeus) ist ein in Dialogform verfasstes Spätwerk des griechischen Philosophen Platon. Darin wird ein fiktives, literarisch gestaltetes Gespräch wörtlich wiedergegeben. Beteiligt sind Platons Lehrer Sokrates, ein vornehmer Athener namens Kritias und zwei Gäste aus dem griechisch besiedelten Süditalien: der Philosoph Timaios von Lokroi, nach dem der Dialog benannt ist, und der Politiker Hermokrates von Syrakus.

Sokrates und Hermokrates ergreifen nur im Einleitungsgespräch das Wort. Danach berichtet Kritias von einem Abwehrkrieg, den Athen nach seinen Worten vor neun Jahrtausenden gegen das mythische Inselreich Atlantis führte und gewann. Anschließend hält Timaios einen langen naturphilosophischen Vortrag, der den weitaus größten Teil des Dialogs ausmacht.

Nach Timaios’ Darstellung ist der Kosmos hauptsächlich von zwei Faktoren geprägt, der Vernunft und der Notwendigkeit. Bei der Erschaffung des Alls wollte der vernünftige, wohlwollende Schöpfergott, der Demiurg, das Bestmögliche erreichen. Dazu musste er sich mit der „Notwendigkeit“ – vorgegebenen Sachzwängen – arrangieren und aus dem Chaos der bereits vorhandenen Materie Ordnung schaffen. Er bildete die Weltseele, mit der er den Kosmos zu einem lebendigen, beseelten Wesen machte. Den von ihm hervorgebrachten untergeordneten Gottheiten wies er die Aufgabe zu, den menschlichen Körper zu erschaffen. Die unsterblichen individuellen Seelen schuf er selbst. Sie treten im Rahmen der Seelenwanderung immer wieder in neue Körper ein. Nachdrücklich weist Timaios auf die Güte des Schöpfers und die Harmonie und Schönheit der Welt hin.

Von der Antike bis zum Spätmittelalter erzielte der Timaios die stärkste und nachhaltigste Wirkung von allen Werken Platons. Im Mittelalter blieb er bis ins 12. Jahrhundert das einzige den lateinischsprachigen Gelehrten zugängliche Werk des antiken Denkers. Im 12. Jahrhundert erreichte die Rezeption ihre größte Intensität, als die platonisch orientierten Philosophen der Schule von Chartres den biblischen Schöpfungsglauben mit dem Weltbild des Timaios zu harmonisieren trachteten. Die moderne Forschung griff die schon in der Antike umstrittene Frage auf, ob der Schöpfungsbericht wörtlich im Sinne eines bestimmten historischen Vorgangs oder sinnbildlich als Veranschaulichung einer ewigen Wirklichkeit zu verstehen ist. Nach der heute vorherrschenden Auffassung ist die Schöpfung des Demiurgen nicht als ein bereits abgeschlossenes Ereignis, sondern als beständiger Prozess zu verstehen.


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