Multikulturelle Gesellschaft

Schulhof einer Grundschule mit symbolischer Mauerbemalung

Das politische Schlagwort multikulturelle Gesellschaft wird sowohl deskriptiv als auch normativ verwendet.[1] In Deutschland wurde der Begriff in der öffentlichen Diskussion um die Einwanderungspolitik Ende der 1980er Jahre bekannt. Der Begriff bezeichnet eine Vision einer Gesellschaft innerhalb eines Staates, in der Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, Sprachen, Religionen und Ethnien friedlich zusammenleben. Menschen verschiedener Kulturen können verschiedene Traditionen, Lebensstile und/oder Vorstellungen von Werten und Ethik haben. Dabei impliziert der Begriff der multikulturellen Gesellschaft ein Neben- bzw. Miteinander nach wie vor klar unterscheidbarer Kulturen in einer Gesellschaft und unterscheidet sich insoweit vom Begriff der transkulturellen Gesellschaft, der das Verschwimmen oder gar die Auflösung kultureller Grenzen diagnostiziert.

Multikulturelle Gesellschaft kann ein gemischt ethnisches Gemeinschaftsgebiet beschreiben, in dem mehrere kulturelle Traditionen existieren (wie zum Beispiel in New York City oder Triest) oder ein einzelnes Land, in dem solche existieren wie die Schweiz, Belgien oder Russland.

Innerhalb Deutschlands ist es vor allem das Bundesland Schleswig-Holstein, das sich zu seinen unterschiedlichen Ethnien und Kulturen und zu seiner Mehrsprachigkeit bekennt (Verfassung des Landes Schleswig-Holstein in den Artikeln 6,[2] 12[3] und 13 II[4]; siehe auch: Sprachen und Dialekte in Schleswig-Holstein).

Ein historisches Beispiel ist die 1918 aufgelöste Habsburgermonarchie, unter deren Dach viele verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen zusammenlebten. Eine der Grundlagen dieser jahrhundertealten Staatsstruktur war das Habsburger Prinzip „leben und leben lassen“. Die heutigen aktuellen Themen wie soziale und kulturelle Differenzierung, Mehrsprachigkeit, konkurrierende Identitätsangebote oder multiple kulturelle Identitäten haben bereits die wissenschaftlichen Theorien vieler Denker dieses multiethnischen Reiches geprägt.[5]

Ehemalige Kolonialmächte werden als multikulturelle Gesellschaften besonderer Art bezeichnet: Dort leben oft Menschen aus ehemaligen Kolonien. Teilweise wanderten sie während der Kolonialzeit ein; teilweise kamen sie im Zuge der Dekolonisation in den 1950er und 1960er Jahren. Die Geschichte Kanadas gilt als ein Beispiel für legislative Umsetzung des Multikulturalismus. Denn Kanada war im 18. und 19. Jahrhundert zwischen Briten und Franzosen im Osten (1763 verloren die Franzosen ihre Kolonie Neufrankreich an die Briten) sowie später im Westen zwischen Spaniern, Briten und Russen umstritten.[6]

  1. Frank Beyersdörfer: Multikulturelle Gesellschaft: Begriffe, Phänomene, Verhaltensregeln, LIT Verlag Münster, 2004, ISBN 3-8258-7664-0, Seite 49f.
  2. Artikel 6 - Nationale Minderheiten und Volksgruppen, auf gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de
  3. Artikel 12 - Schulwesen, auf gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de
  4. Artikel 13 - Schutz und Förderung der Kultur, auf gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de
  5. Doris Griesser "Denkanstöße aus der Multikulti-Monarchie" in: Standard, 3. Juli 2012; Pieter M. Judson "The Habsburg Empire. A New History" (Harvard 2016); Christopher Clark "The Sleepwalkers" (New York 2012).
  6. Birgit Rommelspacher: Anerkennung und Ausgrenzung: Deutschland als multikulturelle Gesellschaft, Campus Verlag, 2002, ISBN 3-593-36863-3, Seite 189ff.

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