Notrecht

Als Notrecht (französisch droit de nécessité, italienisch diritto di necessità, rätoromanisch dretg d’urgenza) werden in der Schweiz staatliche Massnahmen bezeichnet, die nicht im Rahmen der normalen demokratischen Kompetenzordnung getroffen werden.

Staatliches Handeln ist im demokratischen Rechtsstaat in der Regel nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig. Zuständig für die Gesetzgebung ist das demokratisch gewählte, repräsentativ zusammengesetzte Parlament (die Bundesversammlung), unter Vorbehalt des Referendumsrechts des Volkes. Diese demokratischen Verfahren brauchen Zeit. Nun gibt es aber Situationen, in welchen unverzüglich dringliche Massnahmen getroffen werden müssen, um schwerwiegende Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit abzuwenden. Das Notrecht dient dazu, in solchen Situationen die Handlungsfähigkeit des Staates zu wahren.

Der Begriff «Notrecht» kommt im geschriebenen schweizerischen Recht allerdings nicht vor. Das führt zu einer «Mehrdeutigkeit» bzw. «Unschärfe des Notrechtsbegriffs».[1] Unbestritten sachgemäss ist die Verwendung des Begriffes für das extrakonstitutionelle – also ungeschriebene – Notrecht im engeren Sinne, wie es letztmals im Zweiten Weltkrieg zur Anwendung gelangt ist (Vollmachtenregime). Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff aber vor allem auch für das konstitutionelle Notrecht verwendet, d. h. für das Notverordnungsrecht der Regierung, das zwar eine Verfassungsgrundlage, aber keine Gesetzesgrundlage hat. Diese Begriffsverwendung wird von der Staatsrechtslehre teilweise kritisiert, weil dadurch der grundlegende Unterschied verwischt wird zwischen dem extrakonstitutionellen Notrecht, mit welchem das Parlament der Regierung umfassende Vollmachten erteilt, und dem Notverordnungsrecht der Regierung, welches nur unter restriktiven Voraussetzungen für kurze Zeiträume Geltung haben darf.[2]

  1. Ralph Trümpler: Notrecht. Eine Taxonomie der Manifestationen und eine Analyse des intrakonstitutionellen Notrechts de lege lata e de lege ferenda. Zürich/Basel/Genf 2012, S. 1.
  2. Giovanni Biaggini: BV. Kommentar. 2. Auflage. Zürich 2017, S. 1399.

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