Sein

Sein (altgriechisch εἶναι eĩnai, lateinisch esse – beides Infinitive), Dasein, Gegebensein bezeichnet den Grundbegriff der Philosophie und Metaphysik.[1] Das Verb sein, zu dem Sein den substantivierten Infinitiv bildet, kann nicht eindeutig definiert werden und erfordert einen zugrunde gelegten Seinsbegriff. In der Tradition gibt es dabei zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze:

  1. Das univoke (eindeutige) Seinsverständnis: Sein ist das Merkmal, was allen Seienden nach Abzug der jeweils individuellen Eigenschaften immer noch gemeinsam ist (Entität).
  2. Das analoge Seinsverständnis: Sein ist das, was „allem“ zukommt, der Gegenbegriff zum Sein ist das Nichts, da nichts außerhalb des Seins stehen kann.[2]

Dagegen beschreibt der Begriff des Seienden (altgriechisch τὸ ὄν to ón, mittellateinisch ens – Partizip) einzelne Gegenstände oder Tatsachen. Seiendes kann auch die Gesamtheit des Existierenden, also „die ganze Welt“, bezeichnen, solange dies räumlich und zeitlich bestimmbar ist. Sein ist hingegen das unveränderliche, zeitlose, umfassende Wesen (griechisch ousia, lateinisch essentia) sowohl einzelner Gegenstände als auch der Welt als Ganzes.

Die Begriffe „Seiendes“ und „Sein“ stehen in einem Spannungsverhältnis, da jedem Seienden in irgendeiner Weise ein Sein zukommt. Seiendes ist im Werden vergänglich und gewordenes Mögliches. Die Untersuchung des Wesens von allem Seienden ist Hauptgegenstand der Ontologie. Ein weiteres Thema ist die Abgrenzung des Seienden zum Nichtseienden. So betont jede Form des Realismus, dass es sich vor allem beim sinnlich Gegebenen um Seiendes handelt, dagegen bei bloß Gedachtem eher um Nichtseiendes. Seiendes setzt eine existierende Welt von Gegenständen, Eigenschaften oder Beziehungen voraus. Im Gegensatz dazu sehen die verschiedenen Formen des Idealismus das eigentlich Seiende in der Innenwelt des rein gedanklich Vorgestellten, während gerade die Realität einer Außenwelt bestritten und für bloßen Schein gehalten wird.

Der Begriff des Seins hat den weitesten möglichen Bedeutungsumfang (Extension) überhaupt, weil er sich auf alles, was denkbar ist, beziehen kann. Alles, was denkbar ist, bedeutet dabei alles, was nicht „nicht ist“. Für Sein und Nichts gilt der Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Erst durch den Begriff des Seins wird die Vorstellung von Negation und Differenz möglich. Differenz ist der Übergang vom Sein zum Seienden. Das Sein und das Seiende stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Aus dem Sein (These) und dem Nichts (Antithese) ergibt sich durch die Unterscheidbarkeit das Seiende (Synthese). Der Unterschied von Sein und Existenz besteht darin, dass man mit Existenz ein Sein in der Realität mit einer örtlichen und zeitlichen Bestimmung meint. Demgegenüber kann man auch solchen Gegenständen ohne bewiesene Existenz durchaus Eigenschaften zuschreiben: Atlantis ist ein untergegangenes Weltreich.

Der Begriff des Seins wird in der allgemeinen Metaphysik diskutiert. Sie fragt nach den allgemeinsten Kategorien des Seins und heißt deshalb auch Fundamentalphilosophie. Sofern sie das Sein als Seiendes untersucht, spricht man von Ontologie (Seinslehre).

  1. Alois Halder – Philosophisches Wörterbuch, Herder Verlag 2008
  2. J. B. Lotz, W. Brugger: Allgemeine Metaphysik. Abschnitt D: „Seinsbegriff“. (Memento vom 10. Oktober 2012 im Internet Archive) Dritte Auflage, München 1967.

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