Ziviler Ungehorsam

Sebastian Loscher: Allegorie der Gerechtigkeit (1536)[1]

Ziviler Ungehorsam (aus lateinisch civilis ‚bürgerlich‘; deshalb (selten) auch bürgerlicher Ungehorsam) ist eine Form politischer Partizipation, deren Wurzeln bis in die Antike zurückreichen. Durch einen symbolischen,[2] aus Gewissensgründen vollzogenen und damit bewussten Verstoß gegen rechtliche Normen zielt der handelnde Staatsbürger mit einem Akt zivilen Ungehorsams auf die Beseitigung einer so wahrgenommenen Unrechtssituation und betont damit sein moralisches Recht auf Partizipation. Die Normen können sich durch Gesetze, Pflichten oder auch Befehle eines Staates oder einer Einheit in einem staatlichen Gefüge manifestieren. Durch den symbolischen Verstoß soll zur Beseitigung des Unrechts Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung genommen werden. Der Ungehorsame nimmt dabei bewusst in Kauf, auf Basis der geltenden Gesetze für seine Handlungen bestraft zu werden. Häufig beansprucht er ein Recht auf Widerstand für sich, das sich jedoch von einem verfassungsgemäß gegebenen Widerstandsrecht[3] unterscheidet. Demjenigen, der zivilen Ungehorsam übt, geht es damit um die Durchsetzung von Bürger- und Menschenrechten innerhalb der bestehenden Ordnung,[4] nicht um Widerstand, der auf die Ablösung einer bestehenden Herrschaftsstruktur gerichtet ist. Die Methoden und Aktionsformen von zivilem Ungehorsam und Widerstand gleichen sich jedoch in vielen Fällen.

Als moderne Väter des Konzepts gelten Henry David Thoreau, Mohandas Karamchand Gandhi und Martin Luther King, Jr. Im philosophischen Diskurs nehmen seit der Veröffentlichung seines Artikels The Justification of Civil Disobedience[5] John Rawls’ Überlegungen eine zentrale Stellung ein.

  1. „Vor einer Renaissancearchitektur zur Linken und einer bebauten Hügellandschaft öffnet sich unter einem weiten bewölkten Himmel bühnenartig ein perspektivisch angelegter Bildraum. An einer Säule – dem Sinnbild für Macht und Stärke – lehnt die halbbekleidete Iusticia, die Personifikation der Gerechtigkeit. Vor ihr ein geflügelter Putto, der ihr mit seiner rechten Hand eine Waage entgegenhält und mit seiner linken auf ein unterhalb der Weltkugel liegendes Schwert zeigt. Iustitia wendet sich jedoch von den Zeichen irdischer Gerechtigkeit ab und weist zu Gottvater im Himmel, dem Quell himmlischer bzw. göttlicher Gerechtigkeit. Der mit Trophäen geschmückte Turm zur Rechten, der als Sinnbild irdischer Stärke und Gerechtigkeit zu deuten ist, ruht indes auf brüchigem Fundament.“ (Quelle)
  2. Symbolisch bedeutet hier üblicherweise, dass niemand einen körperlichen Schaden erleiden darf, noch dass Menschen größerer materieller Schaden zugefügt wird. Beispielsweise geht der britische Rechtsphilosoph H. L. A. Hart in einem anderen Zusammenhang von der Existenz eindeutiger Prinzipien der Gerechtigkeit aus, „die das Ausmaß einschränken, in dem allgemeine soziale Ziele auf Kosten des einzelnen verfolgt werden dürfen.“ (H. L. A. Hart: Prolegomena zu einer Theorie der Strafe. S. 75, in: H. L. A. Hart: Recht und Moral, Göttingen (Vandenhoeck) 1971, S. 58–86). In anderen Worten ausgedrückt bedeutet das, dass die Beeinträchtigung anderer maßvoll zu sein hat.
  3. In der Bundesrepublik Deutschland ist dieses Recht in Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) niedergelegt. Nach GG Art. 20, Abs. 4 haben alle Deutschen ein Recht auf Widerstand gegen alle Bestrebungen, die auf Beseitigung der rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung gerichtet sind, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Vgl. auch: Dieter Hesselberger: Das Grundgesetz. Bonn (BpB) 1988, S. 174f.
  4. Elke Steven: Ziviler Ungehorsam. In: Ulrich Brand et al.: ABC der Alternativen, Hamburg (VSA) 2007, S. 262f.
  5. John Rawls: The Justification of Civil Disobedience. in: Hugo Adam Bedau (Hrsg.): Civil Disobedience: Theory and Practice, New York (Pegasus Books) 1969, S. 240–255; deutschsprachige Ausgabe: John Rawls: Die Rechtfertigung bürgerlichen Ungehorsams. In: John Rawls: Gerechtigkeit als Fairneß, Freiburg / München (Verlag Karl Alber) 1977, S. 165–191.

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